Einfluss durch die Vorgeschichte
Schwangerschaftsabbrüche werden von den betroffenen Frauen und ihren Partnern unterschiedlich verarbeitet. Das betroffene Paar muss einen Weg finden, sich von seinen Gedanken und Plänen in Bezug auf das Kind, die sich mit Eintritt einer Schwangerschaft entwickeln, wieder zu verabschieden. Ist die Schwangerschaft lange ersehnt oder Ergebnis einer Kinderwunschbehandlung, ist die Enttäuschung oft besonders groß – Schuldgefühle, »der Natur ins Handwerk gepfuscht zu haben«, können auftreten. Gab es in der Vorgeschichte bereits Fehl- oder Totgeburten, ist die seelische Belastung für die Betroffenen meist sehr ausgeprägt. Nicht selten stellen Frauen dann ihren Körper und ihre Fortpflanzungsfähigkeiten generell infrage, aber auch Männer zweifeln an ihrem Erbgut. Schwangerschaftsabbrüche in der Vergangenheit (unabhängig vom Grund) können gerade in dieser Situation Schuldgefühle verstärkt hervorbringen. In unserer Arbeit mit Betroffenen bei Schwangerschaftsabbrüchen ist deutlich geworden, dass die Stärke der Trauer nicht unbedingt von der Schwangerschaftswoche abhängt, sondern vielmehr von den Gedanken und Wünschen, die mit dem Kind verbunden sind.
Die Diagnose
Der Zeitpunkt der Diagnose einer kindlichen Fehlbildung oder einer Erkrankung der Mutter, die durch die Fortführung der Schwangerschaft lebensbedrohlich für sie würde, wird häufig als Schock erlebt. Viele Betroffene erleben diese Zeit wie in einem Nebel oder einer Betäubung, so als würde ein Film ablaufen, der mit ihnen selbst nichts zu tun hat. Diese Symptome sind Zeichen einer akuten psychischen Belas-tung. Im Anschluss können sich Gefühle wie Traurigkeit, Verzweiflung, Ängste und Ärger einstellen und auch untereinander abwechseln. Manchen Frauen macht gerade dieses Wechselbad von Gefühlen besonders zu schaffen. Dabei zeigt es nur, dass ein einschneidendes Lebensereignis eingetroffen ist, dessen Bewältigung eine Menge Kraft erfordert.
Geht es um die Diagnose einer kindlichen Fehlbildung bzw. zu erwartenden Behinderung, führt dies bei den betroffenen Eltern oft zu schrecklichen Fantasien über das Aussehen des Kindes und bei der werdenden Mutter zu einer inneren Distanzierung vom ungeborenen Kind, zu dem sie bis dahin einen guten Kontakt hatte. Dies führt nicht selten rasch zu dem starken Impuls, möglichst bald einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, um diese schreckliche gefühlsmäßige Situation zu be-enden. Wird der Schwangerschaftsabbruch wegen einer Erkrankung der Mutter vorgenommen, beziehen sich die Schuldgefühle manchmal darauf, das eigene Leben dem des Kindes vorzuziehen und vielleicht dadurch ein gesundes Kind zu verlieren.
Die Entscheidung zum Abbruch
Gemeint ist hier der Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche, der nach § 218 StGB nur aus medizinischer Indikation möglich ist. Eine medizinische Indikation kann sich beispielsweise bei einer Erkrankung der Mutter ergeben, wenn jene durch die Fortführung der Schwangerschaft lebensbedrohlich würde. Ein häufigerer Grund ist allerdings die erhebliche seelische Belastung der Mutter, die aus der Diagnose einer kindlichen Fehlbildung resultiert. Dazu gehört auch, dass die Mutter sich nicht in der Lage sieht, das Kind auszutragen und großzuziehen. Dabei geht es nicht um momentane Reaktionen, sondern um nachvollziehbare langfristige Folgen, von denen man ausgehen muss.
Ein dabei auftretendes medizinisches und ethisches Problem ist, dass einerseits die entsprechenden diagnostischen Maßnahmen oftmals erst in der fortgeschrittenen Schwangerschaft zur Diagnosestellung führen, dass aber andererseits durch Verbesserung der intensivmedizinischen Maßnahmen bereits ab etwa der 23./24. SSW eine Überlebenschance für ein frühgeborenes Kind besteht, d. h. dass bei einer Geburtseinleitung in dieser Zeit das Kind evtl. überleben kann. Falls Fehlbildungen bestehen, die nicht zum sofortigen Tod führen, wird in der Regel das Ungeborene in der Gebärmutter abgetötet, um keine Lebendgeburt zu riskieren (d. h. es wird ein sogenannter Fetozid durchgeführt). Kein Paar macht sich diese Entscheidung leicht. Wichtig zu wissen ist, dass auch mit einem Abbruch das Problem nicht »ein-fach gelöst« ist. Viele Paare und insbesondere die Frauen haben Schwierigkeiten, einen späten Schwangerschaftsabbruch vor sich zu rechtfertigen und diesen im Nachhinein zu verarbeiten.
Ein Abbruch ist nicht immer der leichtere Weg. Entscheidend ist, dass es für die Frau keinen anderen Ausweg gibt und sie sich ganz sicher in ihrem Vorgehen ist (was nicht bedeutet, dass keine Zweifel oder Schuldgefühle vorhanden sein dürfen). Handelt es sich um eine Erkrankung oder Fehlbildung, die mit dem Leben nicht zu vereinbaren ist und die nach der Geburt sicher zum Tod des Kindes führen würde, sollte die Fortführung der Schwangerschaft für einen gewissen Zeitraum oder bis zur natürlichen Geburt in Erwägung gezogen werden. Manchen Frauen fällt es leichter, sich mit der Zeit allmählich auf den Abschied vom Kind vorzubereiten. Die vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft, also die Geburtseinleitung innerhalb weniger Tage nach der Diagnosestellung, lässt dazu wenig Raum. Betroffene Frauen sollten sich die Zeit nehmen, um den für sie richtigen Weg zu finden, und zwar auch über die gesetzlich vorgeschriebene Wartezeit von drei Tagen nach ärztlicher Beratung zum Thema Schwangerschaftsunterbrechung hinaus.
Die Geburt
Ein später Schwangerschaftsabbruch (unabhängig von der Ursache) ist in der Regel eine Geburt unter dem Einsatz wehenauslösender Mittel, die Stunden bis Tage dauern kann. Die von den Frauen oftmals gewünschte Entbindung per Kaiserschnitt wird wegen der damit verbundenen erhöhten Risiken für die Frau nicht durchgeführt. Der Gedanke, die Belastungen einer Geburt ohne Aussicht auf ein lebendes Kind durchstehen zu müssen, wird als besonders belastend empfunden. Im Nachhinein erweist sich diese Zeit aber nicht selten als Zeit, in der man vom Kind intensiv Abschied nehmen konnte. Zudem kann die Frau nach einer Spontanentbindung die Klinik schneller verlassen als nach einem Kaiserschnitt und es bestehen für sie weniger körperliche Risiken in weiteren Schwangerschaften.
Wieder zu Hause
Eltern, die ein Kind in der Schwangerschaft verlieren, erleben eine längere Zeit der Trauer und benötigen ihre Zeit, um damit fertigzuwerden. Die psychischen Reaktionen nach einem Abbruch können sehr unterschiedlich sein und unterschiedlich lange andauern. Nach dem Klinikaufenthalt wieder das Zuhause zu betreten, das die Frau ein paar Tage zuvor noch als Schwangere verlassen hat, ist für viele Betroffene ein schwieriger und sehr emotionaler Moment. Es wird hier besonders deutlich, dass viele Planungen und Wünsche, wie z. B. das Einrichten des Kinderzimmers, plötzlich ihren Sinn verloren haben. Vielen kommt das Zuhause leerer vor als jemals zuvor. Jeder braucht seine Zeit, um wieder zur Normalität zu finden. Das gemeinsame Sprechen des Paares über das Geschehene oder auch der Austausch mit anderen kann eine Hilfe für den Umgang mit dem Verlust sein.
Was hilft?
Bei der Frage eines Schwangerschaftsabbruchs ist es wichtig, sich ausreichend Zeit für die Entscheidung zu nehmen, alle Aspekte zu bedenken, evtl. auch wiederholt zu besprechen und Beratung von verschiedenen Seiten einzuholen (z. B. Pränatalmediziner, Kinderärzte, Humangenetiker, Psychologen etc.). Solche Gespräche sollten möglichst gemeinsam mit dem Partner erfolgen. Bei der Aufnahme in die Klinik und bei der Entbindung ist die Anwesenheit des Kindesvaters oder einer anderen engen Bezugsperson wünschenswert. Wir empfehlen dem betroffenen Paar, vom Kind Abschied zu nehmen (z. B. durch Ansehen und Halten des Kindes, Mitnahme von Fotos und Fußabdruck) und dem Kind einen Platz in der Familie zu geben (z. B. durch Namensgebung, Segnung, evtl. individuelle Bestattung). Die Erfahrung zeigt, dass es für die langfristige Verarbeitung hilfreich ist, sich dem Schmerz in dieser Situation zu stellen. Dies kann die Trauer lindern und langfristig den Umgang mit dem Verlust erleichtern. Auch ist es gut, vorhandene Geschwister in den Abschied mit einzubeziehen bzw. mit ihnen über dieses Erlebnis zu sprechen und für Fragen der Kinder offen zu sein – natürlich eingestellt auf Alter und Verständnisfähigkeit.
Literatur
Lothrop H. Gute Hoffnung – jähes Ende. Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit. Begleitung und neue Hoffnung für Eltern. Vollständig überarbeitete Neuausgabe. München: Kösel 2016.
Schäfer K. Ein Stern, der nicht leuchten konnte. Ein Buch für Eltern, deren Kind während der Schwangerschaft starb. 2. Auflage. Freiburg: Herder 2008.
Rohde, Anke & Dorn, Almut Krisen in der Schwangerschaft. Ein Wegweiser für schwangere Frauen und alle, die sie begleiten. Stuttgart: Kohlhammer 2021
Rohde, Anke & Dorn, Almut Rund um die Geburt: Depressionen, Ängste und mehr. Hilfe und Selbsthilfe bei peripartalen psychischen Problemen. Stuttgart: Kohlhammer 2023.
Kontaktadressen
Selbsthilfe
- Bundesverband verwaiste Eltern und Geschwister e.V. (www.veid.de)
- http://www.schmetterlingskinder.de/
Beratungsstellen
- https://www.familienplanung.de/beratung/beratungsstellensuche/ (Suche nach Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen)
- EVA-Beratungsstelle für Schwangerschaft, Sexualität und Pränataldiagnostik; Diakonisches Werk Bonn, Außenstelle Eltern-Kind-Zentrum, Universitätsklinikum Bonn https://www.diakonischeswerk-bonn.de/rund-um-schwangerschaft/praenataldiagnostik/
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