Unerfüllter Kinderwunsch
Die meisten Paare gehen davon aus, dass sie wie jeder andere auch Kinder bekommen können. Durch die modernen Verhütungsmethoden ist vor allem das Verhindern von Schwangerschaften gut zu steuern. Durch das Absetzen der Verhütung fällt die Entscheidung für ein Kind heute meist viel bewusster als in früheren Zeiten. Stellt ein Paar fest, dass die gewünschte Schwangerschaft nicht eintritt, führt dies in vielen Fällen zunächst zu großer Verunsicherung. Durch ärztliche Untersuchungen können mögliche körperliche Ursachen beim Mann oder bei der Frau gefunden werden; eventuell schließen sich dann erste Behandlungsmaßnahmen an. Ergeben sich keine Auffälligkeiten, führt das auf der einen Seite zu Erleichterung (Es liegt nichts Ernstes vor), auf der anderen Seite aber auch zu einem wahren Ratespiel (Woran liegt es nun?).
In dieser Zeit werden nicht selten Gefühle wie Trauer, Depressivität, Frustration, Schuldgefühle, Wut etc. erlebt, die sich zu intensiven emotionalen Krisen zuspitzen können. Plötzlich ist das Gefühl da, die eigene Lebensplanung nicht mehr unter Kontrolle zu haben, das Selbstbewusstsein leidet. Auch im sozialen Kontakt zu Familie und Freunden können Veränderungen eintreten, so etwa durch Rückzug, Vermeidung von Kontakten mit Schwangeren, jungen Familien etc.
Partnerschaftskonflikte sind in dieser Zeit nicht selten. Bei manchen Betroffenen löst das Gefühl, der Verursacher zu sein, Schuldgefühle und Versagensängste aus. Männer wie Frauen stellen die Funktionstüchtigkeit ihres Körpers infrage und wissen nicht, wie der Partner diesen Makel nun bewertet. Auch ein unterschiedlich stark ausgeprägter Kinderwunsch kann zu Unverständnis und Problemen zwischen den Partnern führen. Männer und Frauen gehen oftmals sehr unterschiedlich mit diesen Belastungen und Schwierigkeiten um; das kann für weitere Spannungen sorgen. Auch im sexuellen Bereich ist der Verlust von Spontanität und Lust nicht selten; vor allem wenn der Kinderwunsch beim Geschlechtsverkehr im Vordergrund steht oder das Paar immer zum optimalen Zeitpunkt miteinander zu schlafen versucht.
Entscheidung zur Behandlung
Wenn ein Paar überlegt, ob es eine Kinderwunschbehandlung in Anspruch nehmen möchte, werden meist mehrere Aspekte bedacht. Ein Leben ohne Kinder, eine Adoption oder die Aufnahme von Pflegekindern als Alternative zum eigenen Kind können Inhalt dieser Gedanken sein. Auch berufliche Veränderungen oder Änderungen der Wohnsituation können thematisiert werden. Nach fehlgeschlagenen Behandlungsversuchen stehen Paare ggf. erneut vor solchen Fragen.
Für die individuelle Chance des Paares auf ein eigenes Kind spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, z. B. die Art der Fruchtbarkeitsstörung, das Alter, Vorerkrankungen etc. Die Bereitschaft, die Belastungen einer Behandlung auf sich zu nehmen, zeigt den oftmals erheblichen Leidensdruck, der durch die ungewollte Kinderlosigkeit entsteht. Psychische Symptome bis hin zu Depressionen und psychosomatischen Störungen können die Folge sein. In die Entscheidung zur Kinderwunschbehandlung überhaupt ebenso wie bei der Fortsetzung der Behandlung sollte der Aspekt der körperlichen und psychischen Belastung durch die Behandlung, die ganz erheblich sein kann, einbezogen werden.
Kinderwunschbehandlung
Die Kinderwunschbehandlung bringt für viele Paare neben organisatorischen Schwierigkeiten (Konflikte am Arbeitsplatz, Terminabstimmung, Wartezeiten) und Nebenwirkungen durch Hormonbehandlungen auch psychische Belastungen mit sich. Am deutlichsten spüren Paare die Belastung durch das starke Auf und Ab der Gefühle, zwischen extremer Hoffnung zu Beginn eines Versuchs und tiefer Enttäuschung bei nicht eingetretener Schwangerschaft. Diese ist oft umso ausgeprägter, je mehr Behandlungsversuche schon erfolgt sind und je »näher« man der Schwangerschaft gekommen ist (wenn es z. B. nach zunächst eingetretener Schwangerschaft zu einer frühen Fehlgeburt kommt).
Viele Paare möchten mit ihrer Familie und mit Freunden nicht über die Behandlung sprechen. Die »Verheimlichung« kostet aber viel Kraft und Energie. Vor allem Frauen schildern immer wieder eine große gedankliche Konzentration auf den Kinderwunsch mit starkem Grübeln und innerer Unruhe. Sie fühlen sich kaum imstande, weitere Planungen oder Vorhaben zu entwickeln, ohne dabei eine mögliche Schwangerschaft zu berücksichtigen.
Vor allem wenn die Ursachen der Kinderlosigkeit nicht offensichtlich sind, gehen Paare manchmal einen weiten Weg durch verschiedenste Behandlungsoptionen, die sie sich am Anfang ihres Kinderwunsches niemals hätten vorstellen können oder sogar ausgeschlossen haben. Verfahren wie die künstliche Befruchtung (IVF/ICSI) können bei den Paaren bereits ethische Fragen aufwerfen. Bei möglichen Gametenspenden (Fremdsamenspende/Embryonenspende) müssen zusätzliche Dinge besprochen werden, da der Spender für die Familienbildung eine wesentliche Rolle spielt und diese auch in Zukunft behalten wird. Manche Paare gehen ins Ausland, um dort Behandlungen in Anspruch zu nehmen, die in Deutschland aufgrund des Embryonenschutzgesetzes nicht erlaubt sind (z. B. Eizellspende/Leihmutterschaft). Bei diesen Verfahren müssen sich Paare mit weiteren Fragen beschäftigen und organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten sowie emotionale Belastungen in Kauf nehmen.
Abschluss der Behandlung
Ist eine Kinderwunschbehandlung erfolgreich, ist die Freude groß. Stellen sich in der Schwangerschaft Probleme ein, werden diese als besonders belastend erlebt, da die Schwangerschaft »so heiß erkämpft« war und das Paar an diese Zeit besonders hohe Erwartungen hat.
Bleiben die Behandlungsversuche ohne Erfolg, steht die Auseinandersetzung mit einem möglichen Behandlungsende und der Gewissheit, kein leibliches Kind bekommen zu können, an. Sich diesem Thema zu stellen, erfordert von den Betroffenen oftmals noch zusätzliche Anstrengung. Die Zeit des endgültigen Behandlungsabschlusses ist häufig mit Gefühlen des Versagens, der Leere und mit Depressionen verbunden. Trauer im Sinne von »Trauer um das Kind, das wir nie bekommen werden«, gehört ebenso dazu; sie ist sogar wichtig, um irgendwann mit der Kinderwunschbehandlung abschließen zu können. Je früher sich ein Paar mit einem »Plan B« beschäftigt, nämlich mit einer alternativen Lebensplanung ohne eigenes Kind, desto besser kann der Abschiedsprozess letztlich gelingen.
Was hilft?
Für viele Paare sind die geschilderten Belastungen tolerabel und zu bewältigen, vor allem solange die Hoffnung auf ein leibliches Kind viele Probleme relativieren kann. Der Austausch mit anderen Betroffenen oder auch eine individuelle psychische Beratung kann hilfreich und entlastend sein.
Beratungsgespräche können sowohl vor einer evtl. Kinderwunschbehandlung sinnvoll sein oder auch begleitend und unterstützend während der Behandlung. Vor allem bei Behandlungen, die auf eine Fremdsamenspende hinauslaufen, oder auch für Therapien im Ausland erleben Paare die psychosoziale Beratung als sehr hilfreich. Inhalte dieser Gespräche können z. B. die individuelle Bedeutung des Kinderwunsches sein, die möglicherweise unterschiedlichen Sichtweisen der Partner oder auch die Stärkung der Bewältigungskompetenzen des Paares. Auch Entscheidungshilfen bezüglich des weiteren Vorgehens sowie die Entwicklung alternativer Lebensperspektiven können Thema sein. Die Nutzung solcher Angebote ist frühzeitig empfehlenswert, und zwar bevor die Belastungen zu groß werden und psychische Probleme, wie etwa Depressionen, auftreten.
Literatur
Wallraff D, Thorn P, Wischmann T (Hrsg.). Der Ratgeber des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD). Stuttgart: Kohlhammer 2014.
Wischmann T, Stammer H. Der Traum vom eigenen Kind. Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch. 5. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer 2016.
Kontaktadressen
- Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland BKiD www.bkid.de
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Medienpaket »Ungewollte Kinderlosigkeit« www.bzga.de
- Wunschkind e.V. www.wunschkind.de
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